Loslassen… wie ungern ich dieses Wort hab…

15. September 2023

Früher hiess es immer: du musst halt loslassen… in jedem Seminar wusste irgendeine Besserwisserin, dass ich halt einfach lernen müsse loszulassen, bis ich einmal in einem Seminar sagte: wenn mir noch irgendeinmal jemand sagt, ich müsse lernen loszulassen, dann schlag ich zu! Ihr dürft es glauben oder nicht: nie wieder wurde mir dieser Vorschlag gemacht, ausser von mir selber. Ich bin halt ein angespannter Typ. Mein Bruder sagte einmal lachend zu mir, dass Diamanten nur unter Druck entstehen würden. Damals hörte ich das zum ersten Mal, danach noch viele viele Male, aber es blieb mir definitiv von meinem Bruder am ehesten, weil es sich so kostbar anfühlte! Wie schön, diese Vorstellung.

Heute ersetze ich dieses ungeliebte Wort LOSLASSEN durch VERÄNDERN. Ich denke, dass alle Veränderungen im Leben und deren sind da viele, mit diesem abgedroschenen „Loslassen“ zu tun haben, aber es beinhaltet eben so viel mehr! Veränderung bedeutet, sich wandeln. Ich stelle mir vor, wie ich einen dicken Wintermantel im Frühjahr fallen lassen kann und wie gut das tut! Veränderung ist manchmal zaghaft, manchmal plötzlich, verlangt oder gibt… Veränderung heisst: ich habe die Wahl, einen Schritt um den anderen zu tun!

Veränderungen kommen meist von alleine auf uns zu. Wenn wir uns hineingeben können, gelingt es uns leicht, wie z.B. wenn wir einen neuen Job beginnen dürfen, wenn wir umziehen, wenn eine neue Liebe in unser Leben tritt, aber auch, evtl. nicht so leicht, wenn ein Sturm unser Haus flutet, wenn wir Opfer einer Begebenheit werden… wenn unsere Liebe AUS unserem Leben tritt… Ich denke oft darüber nach, wie selbstverständlich wir hinnehmen, dass alte Leute sterben müssen. „sie hatten ja ein langes gutes Leben“, heisst es dann… und der hinterbliebene PartnerIn? Da wird gar nicht gross überlegt, wie sich ein alter Mensch nochmals neu erfinden könnte… Es ist eben so –> der Weg in unserer Gesellschaft scheint vorgezeichnet!

Bei mir, mit 56 Jahren, da wehrt sich alles dagegen. Ich sei viel zu jung, heisst es. Ich dürfe noch nicht sterben! Sorry, wo steht das genau beschrieben? Veränderungen fragen nicht, ob wir bereit sind, sie kommen in unser Leben, um uns aufzurütteln, um uns auf neue Wege zu führen und wer bereit dazu ist, kann mitgehen, manchmal jedoch auch nicht.

Es tönt vielleicht happig, wenn ich sage, dass ich mich auf meine neue Therapie freue, obwohl ich gar nicht weiss, wie sie heisst, was sie bringen wird! Ich bin austherapiert. Die Chemo schlägt nicht mehr so an, wie sie sollte. Die Metastasen greifen nach wie vor um sich und erobern Raum. Eine Idee, ein Versuch, eine neue Studie könnte für mich etwas sein, hiess es aus der Onkologie. Mein Körper sei stark genug dafür… ein Versuch sei es wert. (und zu verlieren habe ich nichts!) Tatsächlich. Mein Körper scheint so ein Kämpfer zu sein. Er hatte es nicht leicht unter meiner Fuchtel, da ich ihn fast 50 Jahre lang stets ändern wollte und ihn entsprechend hart behandelte und kasteite. Geliebt habe ich ihn nie. Das tut mir so leid, denn er ist so grossartig, so mutig und stark! Erst mit der Erkrankung lernte ich schätzen, was ich an meinem wunderbaren Körper habe. Das ist ein bisschen spät, ich weiss, aber besser spät als nie!
Heute, wo mein Körper von Narben gezeichnet ist, wo sich Dinge zeigen, die nicht an die Peripherie gehörten, wo mein Darm aus meiner Bauchdecke spricht… Heute sage ich voller Inbrunst und Dankbarkeit: ich liebe dich, mein Körper. DANKE, dass du so viel mit mir ausgehalten hast und weiter bestrebt bist, Erfahrungen zu sammeln, Veränderungen zuzulassen.

Eine der drohenden Veränderungen wird das Verabschieden unseres Leo sein. Wir haben ihn am 18.8. vor 10 Jahren abgeholt und 10 Jahre war er unser Ein und Alles, das, was unser Leben bestimmte. Vergangenen Montag ging es ihm so schlecht, dass wir dachten, er käme nicht mehr mit uns heim, als wir zur Tierklinik fuhren. Wie durch ein Wunder durfte unsere gemeinsame Zeit etwas verlängert werden… es ist ein Aufschub, ich weiss es, aber immerhin!

Es waren harte Tage im September, es ist viel geschehen. Veränderungen überall, seelische und körperliche Schmerzen, aber gehört das nicht für alle dazu? Der Sturm kommt, immer mal wieder und da bleibe ich doch bei meiner Strategie: Gring ache u seckle! Augen zu und durch und stets im Moment bleiben, stets daran denken, wie gut es gerade jetzt ist! Jetzt ist Freitagabend, 16h, wir haben Ferien, die Sonne scheint… gibt es etwas Besseres als den Moment? Und ganz oft ist es so, dass wir nichts anderes tun müssen, als ein- und auszuatmen! Das finde ich tröstlich!

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